Ich fahre durch eine weiße Landschaft. Wie von einer Schicht Puderzucker überzogene Berge tauchen vor mir auf und verschwinden wenig später im Rückspiegel. Der Duft der Clementinen auf dem Beifahrersitz steigt mir in die Nase. Mein Herz ist weit geöffnet. Schneeflocken landen lautlos auf der Windschutzscheibe, vermischen sich mit dem aufgewirbelten Matsch der vor mir fahrenden Autos. Scheibenwischer und Lüftung arbeiten auf Hochtouren. Allmählich lichtet sich der Nebel. Adeles Stimme erfüllt das Wageninnere. „Don`t you remember?“ 

Ich wechsele die Spur, will eine Pause einlegen, den Schnee unter meinen Stiefeln knirschen hören. Und plötzlich sind sie da. Die vielen Bilder, Erinnerungen an die vergangenen elf Monate. 

Bilder von Menschen, von ihren Gesichtern, ihrem Lächeln und ihren Tränen. Bilder von all den Orten, an denen ich sie traf und solchen, an denen ich sie ganz besonders vermisste. Präsent sind mir jene Situationen, die dazu führten, dass sich unsere Wege kreuzten und auch jene, die dazu führten, dass sich unsere Wege trennten oder sie gar (viel zu früh) aus dem Leben schieden, ohne dass ich die Gelegenheit erhielt, mich gebührend von ihnen zu verabschieden. In meinem Kopf höre ich ihre Stimmen, lausche noch einmal den vielen Gesprächen und auch Diskussionen, die wir führten. Ich spüre unsere Umarmungen, höre das Klirren der Gläser beim Anstoßen, unser ausgelassenes Lachen.

Ich spüre die Liebe, in der mich manch eine*r badete – und ich sehe mich, die befürchtete, darin zu ertrinken. Ihnen vor den Kopf stieß, mich abwandte – anstatt anzunehmen und dankbar zu sein. Eine gewisse Melancholie überkommt mich, und ich frage mich, ob es an der atemberaubenden, gepuderten Landschaft oder dem bevorstehenden Fest der Liebe liegt. Ich setze den Blinker und steuere den Rasthof an. Lautlose Tränen rinnen meine Wangen hinab. Kleine Tropfen voller Liebe und Freude, Trauer und Schmerz verkriechen sich im Ausschnitt meines Pullovers.

Es war ein wirklich besonderes Jahr – und das nicht nur aufgrund der aktuellen politischen Situation. So vieles ist passiert, hat sich zurechtgeruckelt oder ist auseinandergebrochen. Für mich ist es das erste Jahr, in dem ich Deutschland nicht ein einziges Mal verließ. Und doch fehlt es mir nicht, denn alles, wonach ich suchte und noch vieles mehr, habe ich hier gefunden, im Gegenüber – und vor allem in mir. 

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