Gurkenscheiben und Paprikaschnitze werden sorgfältig auf bunten Plastiktellern drapiert. Eine Schüssel mit Nudelsalat und eine Box voller Buletten. Das Gras rings um die karierte Picknickdecke ist grün, driftet an manchen Stellen bereits ins Bräunliche ab. Grell scheint die Sonne. Nur wenige Schleierwolken ziehen über den blauen Himmel. Dennis zupft an seinem neu erworbenen Batiktuch und schiebt die Sonnenbrille vom Haaransatz zurück auf die Nase. Dann wieder zurück in sein langes, blondes Haar, das in der Sonne strahlt. Hat ihm zumindest mal eine Frau gesagt, die er für eine Weile sehr gern hatte. Er greift an den Bügel, lässt ihn wieder los. Setzt er die Brille auf, erkennt ihn Theresa möglicherweise nicht. Wär doof! Oder lieber doch? Was, wenn sie nicht so aussieht wie auf den Bildern bei Tinder? Was, wenn plötzlich jemand völlig Anderes vor ihm steht? Oder ihre Stimme absolut fürchterlich klingt? Ist Theresa eigentlich ihr wahrer Name? Am Ende heißt sie noch Mandy oder Sandy oder so. Dennis schiebt die Sonnenbrille zurück auf die Nase. Sicher ist sicher. 

Sein Blick schweift hinüber zum Kaffeestand. Zu gern würde er sich einen Cappuccino holen, aber das wär unhöflich. Er sollte damit auf sie warten. Die Schlange ist ohnehin viel zu lang. Ein kleines Mädchen quengelt an der Hand der Mutter. Immer und immer wieder brüllt es den Namen einer Eissorte, die die Mutter der Kleinen anscheinend verwehrt. Dahinter ein Typ, schätzungsweise in Dennis’ Alter, wahrscheinlich auch frisch von der Uni, mit hellbraunen Dreads und rötlichem Bart. In seinen Augen sieht Dennis seine Genervtheit, doch sein Körper ist völlig regungslos. Erst als ihn eine junge Frau mit Zopf anstößt und dabei ihr Kaffeebecher zu Boden fällt, woraufhin sich das heiße Getränk auf dem Betonboden verteilt, kommt er in Bewegung, dreht sich zu ihr. Mit dem Rücken zu Dennis hebt sie den Becher wieder auf und steuert den Mülleimer an. 

Dennis schaut auf sein Handy. 15.05 Uhr. Theresa ist zu spät. Er öffnet die App. Nichts. Er schiebt die Sonnenbrille zurück ins Haar und sieht sich um. Der Park ist mittlerweile so voll, dass er sich nicht mehr sicher ist, ob sie sich hier jemals finden werden. Gegenüber der Kaffeebar, rechts von der großen Schaukel – das ist zwar konkret, aber irgendwie auch nicht. Immer mehr Menschen breiten ihre Decken um ihn herum aus. Das kleine Quarrée wird bunt, und er fühlt sich, als verschwinde er im Meer der Farben. Am Ende ist er darin abgetaucht, bevor Theresa überhaupt auftauchen kann. 

Die Schlange vor der Kaffeebar ist kürzer geworden, der langhaarige Ex-Student ins Gespräch mit der Frau mit Zopf vertieft. Beide halten ein Getränk in der Hand, als hielten sie sich daran fest. In unregelmäßigen Abständen pustet der Bartträger in den Pappbecher, aus dem eine Dampfwolke quillt und sich mit der flirrenden Berliner Luft vermischt. Sein Lachen klingt herzlich. Auch sein Gegenüber scheint angetan. Die Hände der jungen Frau sind ständig in Bewegung. Von der einen in die andere Hand wandert ihr Becher hin und her. Schade, dass Dennis sie nur im Profil zu sehen bekommt! Doch er hört, wie sie in sein Lachen einstimmt und erahnt, wie sie dabei die Haare zurückwirft. In der Hinsicht sind doch alle Frauen gleich!

Ein weiteres Mal zieht Dennis das Handy hervor. Er wird Theresa schreiben, dass es hier zu voll, ja, zu eng ist, dass sie sich an der Kaffeebar treffen sollten. Ein Blick aufs Display verrät, es ist bereits zehn Minuten nach der verabredeten Zeit. Will er eine Frau überhaupt noch treffen, wenn sie trotz Verspätung nicht einmal eine Nachricht schickt? An der Uni mag das akademische Viertel ja okay sein, aber bei einem Date? Dennis nimmt die Sonnenbrille von der Nase und kaut am Bügel. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal scrollt er durch ihr Profil. Sie ist wirklich hübsch, ganz natürlich. Nicht so eine aufgetakelte Tussi wie manch Andere in diesen Dating Apps. Und sie ist witzig. Und schlagfertig. In Gedanken geht Dennis ihre Nachrichten durch, denkt an den Moment, als ihre erste Sprachnachricht einging. Damit hatte sie ihn. Diese Stimme voller Zärtlichkeit und Power, sexy und schüchtern.

Das Handy vibriert. Beinahe wäre es ihm aus der Hand gerutscht. Warum sind seine Hände plötzlich so feucht? Mit zittrigen Fingern schützt er das Display vor der Sonne, wirft einen Blick darauf. Anruf von Mama. Eilig steckt Dennis das Handy zurück in die Hosentasche und sieht sich um. Nur ein einziges Mal noch. Junge Menschen mit Badminton-Schlägern. Ein Kind auf der Schaukel neben ihm. Eine ältere Frau mit einem Buch und Weintrauben auf der Decke schräg gegenüber. Nur von Theresa keine Spur. Wie in Slow Motion zieht Dennis das Tuch vom Rasen, schüttelt es aus und erntet böse Blicke von der Familie auf der Decke hinter ihm. Ordentlich gefaltet drückt er es in seine Tasche und hätte beinahe die Tomaten zerquetscht. Dabei wollte er sie damit überraschen. Hatte auf dem Weg hierher im REWE alles Vegane, das ihm unter die Augen gekommen war, in den Korb geworfen und später in seiner Tasche verstaut. Hatte gehofft, dass ein Picknick eine zu kurze Begegnung verhindern könnte. Wollte keinen Hunger aufkommen lassen. Bevor er die S-Bahn-Station verließ, hatte er sie beide bereits herumblödeln sehen. Hatte Theresa lachen gehört, bevor eine der kleinen Tomaten zwischen ihren geschwungenen Lippen verschwand.

Aus seiner Hosentasche kramt Dennis diverse Münzen hervor. Einen Cappuccino gönnt er sich noch gönnen, bevor er den Park wieder verlassen wird. Vielleicht kann er sie sogar von der Theke aus beobachten, wie sie die Wiese abläuft, auf der Suche nach ihm. Was wird er dann tun? In Ruhe seinen Cappuccino trinken oder doch zu ihr laufen? Soll sie ihn doch erstmal suchen! 

In der kurzen Schlange vor ihm brabbelt diesmal ein kleines Mädchen auf ihren Vater ein. Kein Eis, aber Kakao. 

„Bitte, Papa, bitte!“ Mit weit aufgerissenen Augen fleht das Mädchen ihn an. 

Der Daddy scheint dahinzuschmelzen wie ein Eis in der Sonne, nimmt die Kleine auf den Arm und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn. 

„Ja, Papa, darf ich?“ 

Er nickt und bestellt.

Erneut zählt Dennis die Münzen in seiner schwitzigen Hand. Warum schwitzt er überhaupt noch? Es gibt doch gar keinen Grund mehr für irgendeine Aufregung. Es würde ein Sonntag wie jeder andere. Mit Netflix und Tiefkühlpizza. Vielleicht noch eine Zigarette, ein Bier und ein netter Tinder-Chat auf dem Balkon.

„Sag mal, ist es eigentlich schon Drei?“

„Zwanzig nach. Wieso? Langweile ich dich?“

Die junge Frau, die von dem Typen mit Dreads zur Hälfte verdeckt wird, lacht.

„Nee. Ich bin eigentlich noch verabredet. Ist aber eh so voll. Da finde ich denjenigen bestimmt sowieso nicht.“ 

Kurzzeitig herrscht Schweigen. Ein Windhauch streift Dennis‘ Unterarme. Die kleinen Härchen stellen sich auf.

„Ach, egal! Wollen wir noch ’ne Runde durch den Park gehen, oder hast du heute noch was vor?“

Der Bärtige schüttelt den Kopf. Dicke Wolken schieben sich vor die Sonne. 

„Andreas, du bist doch Andreas, oder? Mensch, ich steh mir da hinten die Beine in den Bauch. Warum schreibst du mir denn nicht, dass du hier bist? Hast du meine Nachricht nicht bekommen?“ Mit einem dezenten Tritt lässt eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren ihr Skateboard hochschnellen und klemmt es sich unter den Arm, während ihr Blick vom Bartträger zur jungen Frau neben ihm wandert.

Dennis nippt an seinem Cappuccino, verbrennt sich die Zunge und flucht, woraufhin sich die Frau mit Zopf zu ihm dreht. Ihre Augen weiten sich. Ihr Anblick erinnert Dennis an ein erschossenes Reh. Selten zuvor hat er sich so sehr auf die neue Netflix-Serie und das kühle Bier im Kühlschrank gefreut.

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