Zu gerne würde ich über die Schönheit der Indonesier*innen, der Flora und Fauna Balis schreiben, sehe und bewundere ich sie doch jeden Tag. All die leuchtenden Farben und ungewöhnlichen Geräusche. Jedoch wird dieses Bild zunehmend getrübt. Es ist, als verschwimme diese Schönheit vor meinem inneren Auge aufgrund der Situationen und Bilder, die sich neuerdings unfreiwillig in mein Hirn einbrennen und mir dermaßen unter den Nägeln brennen, dass etwas in mir schreit, sie zu Papier bringen zu müssen.
Nachdem ich Bali und auch die Nachbarinsel Lembongan seit einigen Wochen zum wiederholten Mal bereise und mir viele Veränderungen im Vergleich zu den letzten zwei, insbesondere dreizehn Jahren auffallen, gibt es – neben den unzähligen baulichen Veränderungen – ein gesellschaftliches Thema, das mich beschäftigt und nicht mehr loslässt. Mir ist bewusst, dass es sich hier um ein rein subjektives Bild handelt. Dennoch möchte ich es in diesem Text zum Ausdruck bringen.
Ob zum Arbeiten, Essen oder Entspannen, halte ich mich häufiger in diversen Cafés und Warungs (kleine einheimische Restaurants) auf, sehe mich um und versuche die Atmosphäre aufzusaugen. Ich gebe zu, dass ich dabei auch sehr gern Menschen beobachte, ihr Verhalten studiere. Wahrscheinlich eine Berufskrankheit. Oftmals setze ich mich an eine lange Tafel, um – wie in den vergangenen Jahren – mit Anderen ins Gespräch zu kommen und neue Eindrücke zu gewinnen. Unzählige Menschen habe ich auf diesem Weg bereits kennen und schätzen gelernt, stehe mit vielen von ihnen auch heute noch in regelmäßigem Kontakt. Vereinzelten von ihnen habe ich sogar eine eigene Geschichte (in meinem aktuellen Buchprojekt) gewidmet.
Neuerdings setzt sich allerdings niemand mehr an eine lange Tafel, wenn dort schon jemand sitzt. Einige Cafés haben die großen Tische mittlerweile komplett ausrangiert bzw. gegen kleinere ausgetauscht. Betritt ausnahmsweise doch einmal eine größere Gruppe das Restaurant und lässt sich an einer solchen Tafel nieder, könnte man dort eine Stecknadel fallen hören. Wenn nicht sofort beim Betreten, dann spätestens, wenn Platz genommen wurde, wird die Bedienung nach dem WLAN-Passwort gefragt. Bis zu acht Köpfe tauchen daraufhin gleichzeitig hinter dem Handy-Display ab. Aus face-to-face-Gesprächen werden Online-Chats. Aus persönlichen Sympathiebekundungen nur noch digitale Likes. Selbst, wenn die Bedienung das Essen auf den Tisch stellt, legt niemand das Handy aus der Hand. Vielmehr wird umgehend ein Foto vom vor sich befindlichen Gericht geschossen und jenes mit diversen Hashtags versehen hochgeladen.
In diesen Momenten schießen dermaßen viele Fragen durch meinen Kopf, dass ich befürchte, er könnte bald zerspringen. Vor allem interessiert mich eines: Sind diese Menschen glücklich? Nehmen sie ihre Umwelt überhaupt noch wahr? Wissen sie, wie Bali außerhalb ihrer Handykamera aussieht? Haben sie sich jemals mit einem Local unterhalten? Wie finden sich diese Gruppen zusammen? Per Tinder? Suchen sie nun, da sie sich gegenübersitzen, weitere Menschen, die sich zu ihnen gesellen wollen, den Blick starr aufs Display gerichtet? Sieht sich heute überhaupt noch irgendjemand in die Augen, berührt die Hand des Gesprächspartners, schenkt dem Gegenüber ein Lächeln? Bin ich zu oldschool geworden?
Vor einigen Wochen hatte ich mir ein Co-Working-Space in Canggu angesehen. Hier gab es zumindest noch eine lange Tafel, an dem die Menschen zusammenkamen und sich teilweise miteinander austauschten, vorwiegend jedoch aus beruflichem Interesse. Networking. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir die Frage gestellt, ob ich wirklich die teure Mitgliedschaftsgebühr zahlen müsse. Im Café könnte ich doch ebensogut arbeiten und meine Mitmenschen kennen lernen. Weit gefehlt!
Regelrecht dankbar war ich somit gestern Nachmittag, als sich eine Gruppe dreier Frauen am Nachbartisch niederließ und kurz darauf ins Gespräch vertieft war, bis sich alle Drei mit einer herzlichen Umarmung wieder voneinander verabschiedeten. Als zwei der drei Frauen das Café bereits verlassen hatten, fragte die dritte sehr hektisch nach der Toilette. Ich hatte sie schon fast vergessen, als die große, blonde Frau etwa eine halbe Stunde später zurückkehrte, und ich mich bei ihrem Anblick fragte, ob ihr gesamtes Essen soeben in der Toilette gelandet war. Das wäre zumindest eine mögliche Erklärung für ihre sehr magere Erscheinung gewesen.
Und wieder fluteten unzählige Fragen mein Hirn. Sind es Frauen wie sie, die Jugendlichen auf Instagram das Bild eines ‚makellosen‘ Körpers präsentieren? Sieht sie sich möglicherweise tagtäglich Bilder solcher Frauen an? Was passiert mit den jungen Mädchen, die solchen Bildern regelmäßig ausgesetzt werden? Gibt es eigentlich überhaupt noch menschliche Influencer, oder sind das mittlerweile allesamt nur noch Robots?
Am heutigen Vormittag besuchte ich schließlich die Pyramids of Chi in Ubud. Hier gibt es per se kein WLAN, eine gute Möglichkeit also zum Austausch mit Gleichgesinnten, dachte ich. Beim Betreten des Cafés, in dem etwa dreißig Personen warteten, dass es los geht, blickte ich in mindestens fünfundzwanzig Handys. Vor Beginn der Session wurden alle Teilnehmer gebeten, ihre Handys auszuschalten sowie die Personal Belongings am Eingang der Pyramide abzulegen. Kaum hatten sich die Matten um mich herum gefüllt, sah ich die Displays aufleuchten. Sämtliche Personen chatteten, fotografierten und filmten, und mitten im Gongbath ertönte der Klingelton eines Handys hinter mir.
Und da waren sie wieder, all diese Fragen, in einem Moment, in dem das Hirn eigentlich ausgeschaltet sein sollte. Was ist bloß los in dieser Welt? Wie kann ein Mensch jemals in die Stille finden, wenn selbst in diesem Moment ein hell erleuchtetes, vibrierendes Etwas neben einem liegt? Gibt es auf der Welt außerhalb von Klöstern noch weitere Orte, an denen sich Menschen wirklich begegnen, sich wahrnehmen und einander zuhören?
Als ich Bali 2007 zum ersten Mal bereiste, führte ich ein längeres Gespräch mit einem Indonesier, das mir in diesen Tagen wieder sehr präsent ist. Beim Anblick der vielen Bücher, die sich in meiner Tasche befanden, fragte er mich, wie wir Westler bloß soviel Zeit zum Lesen aufbringen könnten. Das Leben auf Bali bestehe eigentlich nur aus Arbeit. Und wenn man doch mal eine Stunde frei habe, nutze man diese zum Flechten der Opfergabenschälchen. Warum heute nur noch eine Minderheit die Schälchen selber flechtet, dazu könnte ich eine komplett neue Geschichte schreiben, da sich auf dieser Insel vieles verändert hat. Eine der m.E. größten Veränderungen haben die Smartphones mit sich gebracht. Ich denke, selbst, wer Bali noch nie bereist hat, kann sich vorstellen, womit die Menschen hier neuerdings ihre Freizeit verbringen. Beim Betreten eines Geschäfts blicke ich meist zunächst auf das kalte Handygehäuse und erblicke erst dahinter die Verkäuferin… Eine daraus gezogene Konsequenz ist ein ins Leben gerufenes Projekt an balinesischen Schulen, an denen Schüler*innen neuerdings Küken anvertraut werden, um die sie sich kümmern mögen, um vom Smartphone abgebracht zu werden. Ein lebendiges Tamagotchi…
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Schließlich ist auch dieser Text online verfügbar. Natürlich profitiere auch ich vom Internet und pflege einige Kontakte, insbesondere nun aus der Ferne, vorwiegend online. Dennoch ziehe ich jedes persönliche Gespräch dem Austausch von Messages vor, lasse das Handy in diesen Momenten in der Tasche. Arbeite ich am Laptop, möchte ich volle Konzentration und lasse das WLAN ausgeschaltet. Die vielen wertvollen Minuten und Stunden unseres kostbaren Lebens sollten wir genießen statt sie hinter einem kleinen Display zu verplempern. Und überhaupt, verkümmert der Mensch nicht mit der Zeit ohne regelmäßige persönliche Kontakte, ohne ein Lächeln, eine Umarmung?