Hell funkelten die Großstadtlichter in der Dunkelheit. Ungebremst fuhr er in die Nacht hinein. So ein Scheiß, dachte er. Dabei wollte er doch nur… ja, was eigentlich? Längst hatte er es vergessen. Weg, einfach weg! Und nun standen alle Ampeln auf Rot. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad ein, als gelte es einen Drumbeat zu testen. Hatte sie das wirklich ernst gemeint? Was hatte ihn zu ihr geführt? Warum hatte er ihr überhaupt seine Aufmerksamkeit geschenkt? Hatte sie dabei auch noch angesehen, in ihre Augen geblickt. Fuck, diese Augen… DIESE Augen! Eine krasse Mischung aus Verletzlichkeit und bohrender Tiefe. Und noch etwas Anderem. Dazu aber fiel ihm beim besten Willen nichts ein. Versunken sind sie in den seinen wie zwei Perlentaucher im Ozean. Sie hatte diesen Scheiß Blick mit diesem verdammten Etwas darin, wie ein viel zu helles Licht, das irgendetwas in ihm zum Schwingen brachte.
Seine Finger zitterten, als befände er sich in Eiseskälte, dabei brannten seine Hände, als habe er in glühend heiße Kohlen gegriffen. Verdammt scheiß heiße Kohlen! Oh man! Er war am Arsch. Die Gedanken hämmerten durch seinen Kopf wie Technobeats.
Der Typ hinter ihm hupte. Die Ampel stand auf Grün. Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihm die Ungeduld des Hintermanns. Dieser warf ihm einen Blick zu, als wäre die Hölle zu Eis gefroren.
Alter! Ernsthaft?!
Josh verdrehte die Augen und trat aufs Gaspedal, als stieße er das Tor zum Nirwana auf. Eine delphingraue Wolke war alles, was er zurückließ. Sollte der Typ doch an seinen Abgasen verrecken! Selbst schuld, wenn er den Stress, den er vorhin wahrscheinlich noch zuhause hatte, nun auf der Straße ausleben wollte.
Erneut schaute Josh in den Rückspiegel. Er war vollkommen allein. Im Leben wie auf der Straße. Auf sich selbst zurückgeworfen, ließ er die Stadt seitab. Und während sein Puls entschleunigte, dehnte sich die Zeit. Gab ihm Raum, schenkte ihm eine Spanne der Unendlichkeit, die ihn zur Ruhe kommen ließ. Tief atmete er aus, als habe er die Luft angehalten. Indes rollte der Wagen geschmeidig und leise auf dem Asphalt. Die Stille umgab ihn wie eine sanft duftende Wolke ihres sinnlichen Parfüms. God damn! Dieser Duft auf ihrer sonnengebräunten Haut… Josh schluckte. Ihre filigrane Silhouette zeichnete sich vor seinem inneren Auge ab. Jede Faser in ihm sehnte sie herbei. Nur ein Impuls? Oder ein Wunsch, ein Versprechen, das er in die Nacht entsandte. Dunkel und endlos. Gespickt mit kleinen funkelnden Sternen. Warum nur war er so in Rage geraten? Warum davongerannt? Warum schaffte er es nicht, ihrem Blick standzuhalten? Ihr zu geben, wonach sie sich so sehr sehnte – und er sich irgendwie auch.
Die Nacht kleidete die Umgebung, tünchte sie in verheißungsvolle Farben. Äste und Sträucher wirkten wie geheimnisvolle Zeichen. Seit über einer Stunde war er nun schon unterwegs. Warum eigentlich nicht alles hinter sich lassen? Einfach weiterfahren ohne Grund und ohne Ziel? Das Gefühl rauschte in seinen Ohren. Er lächelte leise, schaltete das Radio ein und überließ sich der Straße.
„Easy“ von Faith no more erfüllte den Raum außerhalb von ihm.
Leicht… warum eigentlich nicht?!
Er cruiste die Allee entlang, vorbei an den unzähligen Kastanienbäumen. Gespenstisch starrten sie auf ihn hernieder, als müsse er wachgerüttelt werden. Ein Blatt segelte hinab und blieb an der Windschutzscheibe haften. Josh schaltete die Scheibenwischer ein und schob es fort. Warum gab es solche Wischer nicht für sein Leben? Wenn doch alles nur … so einfach wäre! Ja, wenn …
Erneut begann ein Wirbelwind seine Gedanken durcheinander schleudern. In etwa so, wie auch sie in sein Leben gestürmt war, wie ein Tornado, und hatte eingeschlagen wie ein Blitz. Einfach fahren! Weiterfahren, Josh! Und die Gedanken dem Strom überlassen, als wären sie der Geist in der Flasche, den es zu bändigen galt.
Ein helles Licht tauchte aus der Dunkelheit auf. Aus den Boxen erklang ein alter Song von The Doors. „This is the end…“.
Ein Gemeinschaftsprojekt mit Stefanie Nickel