Ein simpler Knopfdruck, und er hatte sie ausgelöscht, für immer und ewig aus seinem Telefon verbannt. Sein Herz krampfte. Alle Illusion, alle Zuversicht. Mit wenigen Worten hatte sie ihm alles genommen, hatte alles zerstört, was er mühsam versucht hatte aufzubauen. Elias starrte auf das leere Display. Zwei Worte in einem hellblauen Kasten blickten ihn stumm an. No messages. Nie wieder wollte er ihre Stimme hören, ihre verletzenden Nachrichten lesen. Er nahm einen Schluck vom Flaschenbier und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren. Rage against the Machine brachten ihn zurück in die 90er.
Im See spiegelte sich der pralle Mond und verwandelte das Wasser in eine glitzernde Masse. Ein Strahlen inmitten der dunklen Nacht. So wie Annas Strahlen auf den morgendlichen Fotos.
„Guten Morgen, mein Schatz. Wie geht’s dir, babe?“ Ihre Stimme hatte sich in sein Hirn gefressen, in der hinterletzten Zelle festgesetzt. Elias ließ sich in den feuchten Sand sinken und drückte den Lautstärkeregler seines Handys in die Höhe, schrie und brüllte, bis die Enten aufschreckten und davonflogen.
Er hasste sie. Er liebte sie.
Der See stand komplett still, während er von den Wellen fortgerissen, weit hinausgetragen und schließlich unsanft zurück an Land gespült wurde. Ausgespuckt.
Er hatte sie lieb gewonnen, ihre Verwirrtheit, ihre Ehrlichkeit, bis zu dem Moment, in dem sie das alles zerstörte mit der Wucht ihrer Worte. Sie hatte es geschafft, ihm innerhalb kürzester Zeit alles zu nehmen – so wie er ihr nun alles nehmen wollte. Seine liebevollen Nachrichten, seine Fotos, sein Innerstes, das er für sie nach außen gekehrt hatte. Dafür, dass sie nun darauf herumtrampelte. Mit einem Tastenklick entriss er ihr seine Liebe, löschte alle Gedanken aus, die er jemals an sie verschwendet hatte. Ein einziger Knopfdruck, und alles war vorbei. Ausgelöscht für immer.
Sein Herz brannte wie die über dem See aufgehende Sonne. Er drehte die Musik abermals lauter und ließ sich von ihr davontragen. Annas Stimme in seinem Kopf wurde leiser, verebbte. Ein kühler Windhauch umspielte sein Herz.
***
Anna lag im Bett und starrte an die Decke. Kahl und einfarbig wie die Seite, auf der sie bis vor wenigen Stunden seine Nachrichten und Fotos hatte sehen, seine Stimme auf Dauerschleife hatte anhören können.
Hast du gut geschlafen, babe? Hattest du einen schönen Nachmittag? Schlaf gut, babe, ich kuschel mich gleich zu dir unter die Decke.
In ihrem Kopf war noch alles da, während der hellblaue Kasten im Handydisplay das Gegenteil behauptete. No Messages.
Zaghaft berührte der große Zeiger des Weckers die Drei, und sie war hellwach, wollte die Zeit zurückdrehen, alles ungeschehen machen. Auf Knopfdruck hatte sie alles zerstört. Das simple Tippen einer Buchstabenkombination hatte dafür gesorgt, dass sie ihn wohl für immer verloren hatte.
Jede Faser in ihr sehnte sich nach seiner Stimme, seinem Lachen, sogar seinen Anzüglichkeiten. Es gab kein Tabu. Über alles offen und ehrlich reden, das mochte sie an ihm. Bis sie die Grenze überschritt und sich von einem auf den nächsten Moment in einem unbekannten Land wiederfand, weit entfernt von ihm und sich selbst.
Anna nahm die Brille ab und wischte die Tränen vom kalten Glas. Ein kühler Windhauch blies die Gardinen auf. Sie zog die Decke bis unters Kinn, wollte lieber ersticken als erfrieren. Gefrierbrand des Herzens.
Ebenso eiskalt war auch Elias Reaktion auf ihre Nachrichten ausgefallen. Sie wollte mit ihm reden, es persönlich klären, doch ehe sie sich versah, war alles weg. Ausgelöscht. So, als existiere er nicht mehr. Als habe es sie beide nie gegeben. Verloren für immer. Nichts zeugte mehr von all den schönen Momenten. Alles hatte er ihr genommen, alle Fotos, ob im Bett, in der Natur, mit Hund oder Katze. Den rauen Klang seiner Stimme am Morgen, die ins Mikro gehauchten Küsse. Das Kopfkino, das am Ende die verkehrte Richtung eingeschlagen hatte.
Ein leises Wimmern erfüllte ihr Schlafzimmer, prallte am Wecker ab und setzte sich in den Laken fest.
Schlaf gut, babe, ich kuschel mich gleich zu dir unter die Decke.
Sie schaltete das Licht aus und sofort wieder an, zog das Kissen über die Ohren. Ein kühler Windhauch wehte herein, streifte ihre Wange und trocknete die Tränen im Moment, als sich der erste Sonnenstrahl durch die Gardinen kämpfte.